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Der Besuch eines Vondurs

“Yann, komm, wir müssen los”, rief mir mein Kamerad zu und deutete über die Schulter in Richtung Tür. “Du hast recht, Reggi”, stimmte ich zu und rappelte mich von dem harten Bett meiner Unterkunft auf. Reggi und ich waren Wachsoldaten der Hanse. Wir waren erst seit Kurzem hier nach Raforka versetzt worden, dennoch hatten wir uns schon eingelebt. Der Alltag auf einem Mienenplaneten wie diesem, war nicht gerade abwechslungsreich. Somit hatte es auch nicht lange gedauert und wir kannten alle Abläufe wie aus dem Effeff.

Wir hatten in fünfzehn Minuten unsere tägliche Lagebesprechung und wie ich Reggi kannte, wollte er lieber zu früh da sein, als eine Standpauke von unserem Captain zu erhalten. Das wollte ich zwar auch unbedingt vermeiden, aber der Weg zum Besprechungsraum dauerte keine fünf Minuten. Widerwillig nahm ich die einzelnen Teile meiner Ausrüstung und legte diese an. Die stabilen Schutzplatten konnten Laserschüsse zumindest so stark abwehren, dass die Energie des Treffers um 80 Prozent reduziert wurde und somit einem das Leben retten. Trotzdem trug ich diese nur ungern. Sie war relativ schwer und unbequem. Außerdem war es extrem unwahrscheinlich, dass auf diesem Planeten überhaupt einmal ein Schuss abgefeuert worden war. Neben den tiefen Minen und Fabriken gab es hier nichts. Ich schätze, dass vielleicht zehntausend Personen auf diesem Planeten wohnten. Kein Vergleich zu den Milliarden an Robotern.

Reggi lehnte sich ungeduldig an die Tür und wartete, bis ich mein Gewehr nahm, und zu ihm stieß. “Na endlich”, murmelte er und ging voraus. Wie ich bereits geschätzt hatte, waren wir innerhalb von ein paar Minuten in dem Besprechungsraum. Außer uns war niemand da. “Mal wieder viel zu früh”, raunte ich und legte mein Gewehr entspannt über die Schulter. Der Raum war nicht besonders spektakulär. In der Mitte stand ein rundes Pult, welches ein Hologramm erzeugte, auf dem verschiedene Pläne und Gebiete der Minenschächte eingezeichnet waren. Ansonsten befanden sich keine Möbelstücke oder Sitzgelegenheiten in dem Raum. Darum wartete ich hier auch nur ungern. Einzig die Aussicht aus dem Fenster machte es erträglich zu warten.

Der Stützpunkt befand sich, wie alle anderen Fabriken hier auf Raforka, tief unter der Erde. Das Fenster gab den Blick auf eine gigantische Höhle frei. Das Kommandozentrum war ziemlich hoch gelegen und befand sich nur ein paar Meter unterhalb der Höhlendecke. Die anderen Fabriken und Anlagen waren deutlich niedriger. Von hier aus hatte man einen perfekten Ausblick. Einzig ein anderes Gebäude stach hervor. Der Bahnhof des Inter-Atmosphären-Lifts. Dort wurden unzählige Tonnen an Ressourcen verladen und in den Orbit gebracht, wo sie auf Raumschiffe geladen wurden. Wohin die Güter gebracht wurden, konnte ich nur erahnen, aber ich war mir sicher, dass dieser Umschlagort alleine bereits ausreichen würde, um die Fabriken auf Likurii zu beliefern. Dabei gab es hier auf Raforka noch hunderte weitere.

“Na, schon hier?”, hörte ich eine Stimme hinter mir. Verwundert drehte ich mich um und erblickte den Captain, der gerade den Raum betrat. Er trug eine ähnliche Rüstung wie wir, nur dass diese einen orange-gelben Streifen quer über die Brust besaß, was ihn als Captain auswies. Wir salutierten und stellten uns stramm hin. “Gut, dass ihr schon früher da seid. Ihr habt das Los gezogen, heute einem Vondur zu begegnen.”

Bei diesen Worten rutschte mir das Herz in die Hose. Was hatte der Captain gerade gesagt? Einem Vondur begegnen? Hier auf Raforka? Ich musste mich verhört haben. “Ein Vondur, Sir?”, fragte Reggi und kam mir zuvor. Der Captain nickte und erklärte: “Wegen der seltsamen Vorfälle hat die Schützende Hand die Hilfe eines Vondurs zugesagt und dieser trifft heute ein. Besser gesagt, er triff in einer Viertelstunde ein. Ihr zwei werdet ihn auf der Orbitalstation empfangen und ihn hierher eskortieren.”

“Zu Befehl!”, riefen Reggi und ich synchron. “Die Aufzeichnung der Lagebesprechung könnt ihr später in eurem Quartier ansehen. Wegtreten”, befahl der Captain und wandte sich der holografischen Abbildung zu. Mein Kamerad und ich verließen den Raum und machten uns auf den Weg.

Draußen im Flur brach es schließlich aus mir heraus: “Ein echter Vondur? Ich hatte gehofft, niemals einem Wächter zu begegnen. Glaubst du, die Gerüchte sind wahr?” Reggi schüttelte den Kopf und murmelte: “Das kann ich mir nicht vorstellen. Die ganzen Geschichten, wie ein Vondur alleine ganze Armeen besiegt haben soll, sind reinster Humbug.” Alleine wenn ich an die Geschichten dachte, die mir auf Loranto zu Ohren gekommen waren, stellten sich meine Nackenhaare auf. “Da wäre ich mir nicht so sicher. An Legenden ist immer etwas Wahres dran”, mahnte ich, “Ich glaube wir sind uns einig, wenn ich sage, dass wir höflich und vorsichtig sein sollten.” Er nickte und aktivierte den Aufzug, der uns nach unten auf die Straße bringen würde.

Den ganzen Weg, von unserem Stützpunkt bis zum Inter-Atmosphären-Lift, konnte ich an nichts mehr anderes denken, als an den Vondur. Ein ehemaliger Soldat hatte mal zu mir gemeint, dass er gesehen hatte, wie ein Wächter alleine mit seinen Gedanken ein Raumschiff davon abgehalten hatte, zu fliehen. Wie viel mächtiger konnte man denn noch sein?

In der Halle vor dem Aufzug herrschte reges Treiben. Transportcontainer wurden wegtransportiert und die Hallen leer geräumt. Eine ganze Gruppe von Reinigungsrobotern war damit beschäftigt, den öligen und verdreckten Boden zu putzen. Offenbar hatte der Offizier angeordnet, alles auf die Ankunft des Vondurs vorzubereiten. Wenn ein ranghoher Offizier sich derart ins Zeug legte, waren meine Sorgen wohlbegründet.

Die Kabine des Aufzugs setzte sich in Bewegung und beschleunigte in Sekundenschnelle. Es dauerte nicht lange und das Fenster der Kabine gab einen Blick nach draußen frei. Nicht einmal zehn Sekunden hatte es gedauert und der Lift hatte die kilometerdicken Gesteinsschichten hinter sich gelassen. Hier an der Oberfläche herrschte gähnende Leere. Die Landschaft war von den giftigen Gasen stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Eigentlich wollte ich die Oberfläche noch genau betrachten, doch es hatten sich bereits dichte Wolken zwischen uns und der Planetenoberfläche geschoben.

Einen Sekundenbruchteil später und wir hatten auch die Wolkenschicht hinter uns gelassen. Von hier konnte man auch gut den planetaren Energieschild erkennen, der sich von den Wolken absetzte. Dieser sollte ungebetene Gäste abhalten. Es wäre zu schön gewesen, wenn er auch einen Vondur abgehalten hätte uns zu besuchen.

Die Türen des Lifts öffneten sich lautlos, als wir die Orbitalstation erreichten. Der Hangar, in welchem wir den Vondur empfangen sollten, war nicht weit entfernt. Auch hier huschten Dutzende Roboter umher, um die Rückstände der Arbeiten zu beseitigen. Die Landefläche war groß genug, um einen großen Transporter zu parken. Offensichtlich hatten sie die größte Landebucht bereitgestellt.

Noch bevor wir unseren Posten erreicht hatten, nahm ich eine Bewegung wahr. Hinter dem bläulichen Energieschild, welches die künstliche Atmosphäre in der Station hielt, konnte ich ein Shuttle erkennen. Es war rötlich markiert und war eindeutig ein Vondur-Shuttle. Schnellen Schrittes bewegte ich mich zu Stelle, wo wir auf den Vondur warten sollten.

Das Raumschiff passierte den Schutzschild und hüllte den Hangar in ein lautes Brummen. Es schwebte elegant zu der Landefläche und setzte vorsichtig ab. Das Shuttle war einige Meter lang und besaß zwei hintereinander platzierte Flügelpaare. Es dauerte ein paar Sekunden und die Laderampe des Schiffes öffnete sich. Leise zischend entwich etwas Dampf aus der Hydraulik. Außerdem konnte ich Schritte hören. Eine Gestalt zeichnete sich am oberen Ende der Rampe ab. Es war ein muskulöser Mann. Er trug dunkle Kleidung, eine Schulterplatte und auf seinem Rücken schienen sich zwei Schwerter zu befinden.

Noch nie in meinem Leben hatte ich jemanden mit Schwertern bewaffnet gesehen. Mir war es unbegreiflich, wie man so eine altmodische Waffe einem Lasergewehr vorziehen konnte. Wenn man jedoch den Gerüchten Beachtung schenken konnte, war es so, dass ein Vondur mit so einer Waffe ganze Scharen von Kämpfern besiegen konnte, ohne einen Kratzer davontragen zu müssen. Auch wenn diese Angreifer mit modernsten Waffen ausgerüstet waren.

Langsam schritt der Mann die Rampe herunter. Sein Blick fiel auf mich. Sofort stellte ich mich stramm und blickte geradeaus in die Leere. “Ihr seid also mein Empfangskomitee? Von der Hanse hätte ich ehrlich gesagt mehr erwartet”, sagte er. Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter. War er unzufrieden, oder gar sauer? Ich hatte keine Ahnung, wie der Empfang für ein Vondur gewöhnlich aussah. Im schlimmsten Fall war es eine Beleidigung gegenüber dem Mann, dass nur Reggi und ich anwesend waren.

Schnell versuchte ich ihn zu beschwichtigen: “Willkommen auf Raforka, der Offizier wartet mit seiner Garde unten beim Inter-Atmosphären-Lift. Wir begleiten sie dorthin, zum richtigem Empfang.” Auch wenn ich mich nicht traute ihn direkt anzusehen, hätte ich schwören könne, dass ein Grinsen über sein Gesicht huschte. “Dann wollen wir ihn mal nicht warten lassen”, murmelte der Vondur und ging an uns vorbei. Ruckartig machten wir kehrt und folgten im gleichmäßigen Schritt.

Ein leises Surren und Zischen verriet, dass sich die Laderampe, des rot lackierten Shuttles, wieder geschlossen hatte, als wir den Hangar verließen. Der Vondur schien sich auszukennen, er ging direkt in die Richtung des Lifts. Das war nicht besonders verwunderlich, wenn man berücksichtigte, dass die Raumstationen der Hanse sehr ähnlich zu denen der Schützenden Hand aufgebaut waren. Wenn ich wetten müsste, hätte ich gesagt, dass dieser Vondur bereits hunderte dieser Stationen gesehen hatte.

Gefühlt dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis wir die Aufzugkabine erreichten und sich diese verschloss. Vermutlich lag das an meiner enormen Anspannung. Selten hatte ich mich so unter Druck gefühlt. Mein Blick fiel auf meinen Kameraden, der ebenfalls sehr angespannt schien, obwohl er vorher meine Sorgen nicht mit mir geteilt hatte. Er hatte fast schon spöttisch er über die Vondur gesprochen. Das war typisch für ihn. Immer alles rausposaunen und den Starken spielen, aber wenn es darauf ankam, war er ein richtiger Angsthase. Ich war auch nicht viel besser. Wir beide konnten froh sein, der Hanse zu dienen und nicht der Schützenden Hand, wo es an der Tagesordnung war, von einem Vondur herumkommandiert zu werden.

Als sich die Liftkabine in Bewegung setzte, bemerkte ich, wie der Mann neugierig aus dem Fenster blickte. Er schien aufmerksam den Planeten unter uns zu beobachten. Was hatte dieser Vondur auf diesem Planeten vor? Soweit ich wusste wurde er wegen der verschwundenen Arbeiter und Frachten gerufen, aber wollte er tatsächlich helfen, oder einfach die Gelegenheit nutzen, unsere schlechte Arbeit zu bestrafen?

Allein als ich dann die Schwerter auf seinem Rücken musterte, lief es mir kalt über den Rücken. Mehrere kaum sichtbare Runen schienen in den Griff und in die Klinge graviert zu sein. Der pechschwarze Stahl sah extrem stabil aus. Warum dieser Mann wohl zwei davon besaß? So schwer wie die Waffen aussahen konnte er diese ja unmöglich gleichzeitig nutzen, oder? Um ehrlich zu sein, wollte ich das aber unter keinen Umständen herausfinden müssen.

Plötzlich veränderte sich das Licht und mehrere Wolken schossen an dem Fenster vorbei. Überrascht von mir selbst, dass ich dadurch erschrocken war, schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch. Gleich war es geschafft. Wir hatten gleich unser Ziel erreicht. Gerade als ich meine Augen wieder öffnete, glitt bereits die Tür auf. Der Vondur ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. Reggi und ich blieben wie angewurzelt stehen.

Der Vundur schritt langsam auf den Offizier zu, der von mehreren Wachen begleitet wurde. Dem Gesichtsausdruck zu urteilen, war der Offizier ebenso wenig erfreut, den Vondur persönlich zu treffen, wie wir. Der Vondur musterte die Umgebung. Wonach er suchte, konnte ich nur erahnen. Eventuell störte ihn noch der leicht ölige Geruch der Maschinen, die zuvor hier gearbeitet hatten. Jetzt wo ich so darüber nachdachte, fiel mir erst auf, dass die gesamte Halle tatsächlich fertig geleert worden war, um den Vondur zu empfangen. Dieser grüßte und die beiden schienen sich zu unterhalten. Wir waren zu weit weg, um etwas zu verstehen, aber das interessierte mich auch gar nicht. Ich war nur froh, die Begegnung mit dem ersten Vondur in meinem Leben überstanden zu haben. Die Lifttür glitt leise zu. Erleichtert atmete ich auf.