Verlockendes Kopfgeld
Es blitzte kurz auf. Das kleine Blech, das ein Loch in seinem Helm flickte, hatte ihn verraten! In der Menschenmenge auf dem Marktplatz hatte er versucht, sich unter die umher schlendernden Besucher und Händler zu mischen. Doch ohne Erfolg. Er war ungefähr 70 Meter vor mir und drohte in eine der vollen Seitengassen abzutauchen.
Meine Hand glitt hinab zu meinem Gürtel. Der eiserne Griff fühlte sich durch meinen Handschuh angenehm kühl an. Langsam und mit der anderen Hand verdeckt, zog ich den Revolver langsam aus dem Halfter. Die Sonne brannte zur Mittagszeit unerträglich auf den Platz hinab. Ich hatte noch nie verstehen könne, wie die Leute auf diesem Planeten arbeiten konnten.
So schnell wie möglich glitt ich zwischen den vollgepackten Kunden, den schreienden Händlern und den angetrunkenen Bettlern hindurch. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen!
Heute Morgen war ich etwas später aufgestanden. Eigentlich wäre heute mein freier Tag gewesen, aber als ich mein Pad in die Hand nahm, um mir ein Taxi zum Raumhafen zu rufen, wurde ich durch eine Meldung des BountyNets unterbrochen: „15.000 CEX | K4 | ID:82XcKlaiwluzr“.
Eine Belohnung von fünfzehntausend CEX war nicht ohne. Zwar kein großes Vermögen, aber der Mann schien eindeutig jemanden verärgert zu haben.
Jede Person bekam bei der Geburt eine einmalige ID zugewiesen. Die beiden Zahlen zu Beginn gaben den Heimatplaneten an. 82 war in diesem Fall Merduna. Auf genau diesem Planeten hatte ich mich zufälligerweise, bei meinem Rückweg von meinem letzten Auftrag, zu einer Übernachtung hinreißen lassen. Die elf weiteren Buchstaben enthielten die Teilinformationen der DNA. Anhand dieses Buchstaben Codes kann mal teilweise auf das Aussehen der Person schließen.
Natürlich kann man das nicht einfach im Kopf schnell durchrechnen. Es gibt 28 Buchstaben in der Sprache Basic, die auf allen „zivilisierten“ Planeten gesprochen und verstanden wurde. Dazu kamen Groß- und Kleinbuchstaben. Somit wären wir bei 56 und mit elf Stellen bei 5611 Möglichkeiten. Soweit könnte man vielleicht noch mit einem Taschenrechner mitrechnen, wenn nun nicht auch noch der vor und nachfolgende Buchstabe den Wert beeinflusste.
Viele wussten nicht einmal, wofür die ID eigentlich stand. Dennoch war sie mit einer der Grundbausteine der Gesellschaft. Mithilfe des Auflegens der Hand auf einen ID-Scanner konnten Geldbeträge überwiesen werden, Personen identifiziert und auf sämtliche persönlichen Daten zugegriffen werden. Aber ich glaube, ich schweife ab…
Durch diese Zahlweise bot sich jedoch eine neue Form der Überwachung. Mit der Erlaubnis der jeweiligen Behörden, war es für uns Kopfgeldjäger möglich, sämtliche Transaktionen der Zielperson einzusehen und so auch den Standort zurückzuverfolgen. So hatte ich ihn hier auf dem Markt lokalisieren können.
Ich hatte mich bis auf zehn Metern annähern können als er abrupt in eine der zahlreichen Gassen einbog. In den Menschenmassen konnte ich kaum etwas von ihm erkennen. Der Helm hatte ihn jedoch verraten. Flink lief ich zu der Stelle, an der er eingebogen war und blickte in die Seitenstraße. Dutzende Fahrzeuge waren an den rechten Häuserwänden geparkt, während sich an der linken verschiedene Kisten und Kanister stapelten.
Mein Blick schweifte zwischen den Personen umher, die sich hier ihren Weg bahnten. Plötzlich kreuzte sich mein Blick mit dem des behelmten Mannes. Ruckartig drehte er sich um und rannte los. Er floh! Sein brauner Umhang verschwand flatternd hinter einer der Türen der Unterkünfte. Instinktiv bewegte sich meine Hand hoch zu meinem Helm und aktivierte die Wärmebildkamera, welche die aufgenommenen Bilder direkt in das Helmvisier projizierte. Zu meiner Enttäuschung waren die Steinmauern und die Stahltüren zu dick, als dass man das Innere des Gebäudes hätte erkennen können.
Ich sah mich um. Die Gebäude besaßen zur Straßenseite keine Fenster und auf den Dächern hielt sich bei diesen Temperaturen sicher niemand auf. Somit drohte keine Gefahr von oben. Langsam schlich ich zur Tür, durch die der Gesuchte verschwunden war, zog gleichzeitig einen kleinen Chip vom Gürtel und legte ihn auf das Bedienfeld der Tür. Diese glitt ohne Verzögerung mit einem lauten Zischen auf.
Bei dem Öffnen einer Tür sollte man auf alles vorbereitet sein. Der Feind hätte das Feuer eröffnen oder eine Falle auslösen können. Unbeteiligte Personen konnten ebenfalls in dem Raum sein. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, dass …
Peng!
Das erste Szenario war eingetreten. Das Echo des Schusses hallte durch die Gasse, gefolgt von den panischen Schreien der Menschen auf der Einkaufsmeile. Zu meiner Überraschung ging der Schuss nicht in meine Richtung hinaus auf die Straße. Er war nicht für mich bestimmt gewesen! Ich preschte vorwärts in das Gebäude. Der Eingangsbereich war dunkel. Nur durch die gegenüber liegende Türöffnung fiel Licht herein. Hier war niemand. Das konnte das Wärmebild bestätigen. Der nächste Raum war ein Innenhof, in welchen die Sonne mit grellem Licht hineinschien. Der Helm regelte die Helligkeit des Visiers automatisch herunter, um eine optimale Sicht zu gewährleisten.
Es war still. Nur der dumpfe Lärm von draußen drang durch die noch offenstehende Tür hinter mir. Plötzlich stach etwas aus den Geräuschen hervor: Schritte! Leise ging ich hinter einem kleinen Mäuerchen in Deckung, steckte den Revolver weg und nahm mein MDA Gewehr, welches auf meinem Rücken befestigt war.
MDA steht für Mittel-Distanz-Automatik, eine präzise Waffe, welches Dauerfeuer unterstützte. In diesem Fall wäre ein Laserhagel wohl ein bisschen übertrieben gewesen, jedoch war diese Waffe deutlich präziser, als meine kleine Pistole. Ich blickte durch das Visier der Waffe in Richtung Tür. Eine Frau trat hervor und kam in meine Richtung. Sie sah nicht so aus, als würde sie in einer dieser heruntergekommenen Wohnungen leben. Sie verdeckte die Sicht auf die Tür.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Reflexartig rollte ich mich zu Seite. Peng! Der Schuss schlug knapp neben mir in den Boden ein und wirbelte Staub auf. Durch meine Ausweichbewegung stand ich nun ohne Deckung in Reichweite der Frau. Noch bevor sie ihre Waffe ziehen konnte, stürmte ich auf sie zu und rammte ihr meinen Kopf in den Bauch.
Gemeinsam stürzten wir zu Boden und ihre Waffe flog aus ihrer Hand. Der erste Schütze hatte bereits nachgeladen und zum zweiten Schuss angesetzt. Die lange Ladezeit ließ entweder auf ein altes Gewehr oder eins mit sehr hoher Durchschlagskraft schließen. Die Antwort erhielt ich sofort. Ruckartig riss ich meinen linken Arm hoch und aktivierte einen Energieschild, welcher das Geschoss abfing, jedoch unter dessen Last kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Hohe Durchschlagskraft also. Einem weiteren Schuss würde der Schild nicht mehr standhalten. Schnell richtete ich mich auf, nahm den Revolver und richtete ihn auf die Frau.
Ich erkannte sie. Die Frau war nur ein paar Sekunden vor dem Mann um die Ecke gebogen, anscheinend mit dem gleichen Ziel.
Sie hob den Arm und schloss die Hand zu einer Faust, zwei kleine Projektile schossen aus einer Öffnung an ihrem Handgelenk. Das erste verfehlte meinen Kopf haarscharf und schlug in die Wand hinter mir ein. Das zweite traf mich mit voller Wucht an meiner rechten Schulter und riss mich zu Boden. Mein MDA Gewehr schlitterte über den Boden und kam außer Reichweite zum Liegen.
Ich brauchte ganze zwei Sekunden, um mich wieder zu sammeln. Sofort griff ich wieder meinen Revolver und richtete ihn auf die Frau. Ohne ein Geräusch sackte sie zu Boden. Nur der dumpfe Aufprall ihres Kopfes wurde nicht von den sich aus der Ferne nähernden Sirenen verschluckt. Eigentlich hatte ich mit einem weiteren Schuss aus dem Obergeschoss gerechnet. Fehlanzeige.
Langsam ging ich auf die am Boden liegende Frau zu. Ihr braunes Haar verklumpte mit dem aus dem Oberkörper rinnenden Blut und dem Sand auf dem Boden. Zur Sicherheit sah ich mich noch einmal um. Der Innenhof war, bis auf ein paar alte Mäuerchen, welche anscheinend Überreste eines kleinen Schuppens waren, komplett leer.
Die Sirenen waren mittlerweile schon deutlich näher. Ich griff an meinen Gürtel, zog mein Pad hervor und richtete es auf die Frau. Ein kurzer Scan und ich hatte ihre ID. In meinem Visier tauchten nun alle verfügbaren Informationen auf. Das waren leider nicht sehr viele. Kein laufender Auftrag über das BountyNet. Schade, ein paar extra CEX wären schön gewesen.
Ein kleines Symbol tauchte neben Ihren Namen auf… Das Wappen der Hanse…
Alle Informationen waren geheim. Das war äußerst ungewöhnlich. Wenn die Informationen unter Verschluss waren, musste es sich bei der Frau um eine sehr wichtige Person handeln. Eventuell jemand vom Geheimdienst der Hanse. Das war beunruhigend. Nur selten mischte die Hanse in Ereignissen im Gebiet der Schützenden Hand mit und meine Zielperson schien mir nicht gerade den Aufwand wert zu sein.
Ich richtete mich auf und lief zu der Tür, aus der die nun Tote gekommen war. Es wurde schlagartig leise, als ich das Gebäude betrat. Die Sirenen waren kaum noch zu hören. Ich konnte kaum was erkennen. Die vereinzelten Lichter, die nicht defekt waren, lieferten nicht genügend Licht. Die Wärmebildkamera meines Helmes schaltete sich automatisch ein. Keine Lebewesen waren zu sehen. Ich schaltete das Nachtsichtgerät ein, welches wie die andere Kamera das gewünschte Bild direkt in das Helmvisier projizierte. Ich erblickte eine Treppe. Diese war nicht weit von der Eingangstür entfernt.
Plötzlich hörte ich Stimmen hinter mir. Die Sicherheitskräfte waren eingetroffen! Schnellen Schrittes lief ich die Treppe hinauf, mit dem Revolver im Anschlag. Es gab drei Stockwerke. Der Schütze von vorhin hatte aus dem Obersten geschossen. Entweder er würde dort auf mich warten, oder war bereits ein Stockwerk tiefer, um mir in den Rücken zu fallen oder unbemerkt abzuhauen.
Unbemerkt konnte er nicht verschwinden, da die örtlichen Sicherheitskräfte wahrscheinlich bereits alle Ausgänge umstellt hatten. Ich konnte auf mich aufpassen, also entschied ich mich dafür, in den dritten Stock zu gehen. Falls mir der Angreifer in den Rücken fallen würde, wäre ich darauf vorbereitet.
Erneut hörte ich Schritte. Diese gehörten zu mindestens vier Personen, die soeben das Gebäude betreten hatten. Spätestens jetzt würde meine Zielperson in Panik geraten. Er hatte seinen Vorteil verspielt. Ich war nun im dritten Stock und wählte zwischen den zwei, vom Treppenhaus abzweigenden, Gängen den linken.
“Stopp!”, hörte ich plötzlich von hinten. Vorsichtig verlangsamte ich meine Schritte. “Waffe fallen lassen und nicht umdrehen”, befahl die Person mit weiblicher Stimme. Mit einem Zwinkern aktivierte ich die kaum sichtbare Rückkamera meines Helmes. Das Abbild einer hübschen Frau wurde in mein Visier projiziert. Sie trug kurzes blaues Haar, hatte eine sportliche Statur und ihr Gewehr war auf mich gerichtet. Eindeutig eine Militäranfertigung. War sie diejenige gewesen, die aus dem dritten Stock geschossen hatte?
Ich sagte kein Wort und machte keine Bewegung. Noch wollte sie mich nicht töten, sonst hätte sie direkt geschossen. Also musste ich nur warten, bis ich eine Chance hatte, sie zu überrumpeln. “Du bist ein Kopfgeldjäger, nicht wahr? Leider steht deine Zielperson unter meinem Schutz und das Kopfgeld ist ungültig”, meinte die Frau und ich konnte sehen, wie sie ihr Gewicht ungeduldig verlagerte. “Das Kopfgeld soll ungültig sein? Das glaube ich kaum. Die Schützende Hand hat es ausgesetzt”, entgegnete ich und überlegte, wie ich vorgehen sollte.
Sie stand am Treppenabgang, knapp zwei Meter hinter mir. Wenn ich schnell genug war, konnte ich mich umdrehen, auf sie zu rennen und sie hinunterstoßen, ohne dass sie auf mich feuern konnte. Das würde knapp werden, aber im Notfall würde mich meine Rüstung vor dem tödlichen Schuss retten. “Wage es ja nicht, ich weiß, dass du mich sehen kannst”, murmelte sie bedrohlich. Wie hatte sie mich durchschaut? Dass ich nach hinten sehen konnte, war alles andere als offensichtlich.
“Dann siehst du auch das hier, oder?”, sagte sie und zeigte einen kleinen Gegenstand. Es war eine Marke. Die Marke des Schützenden Geheimdienstes. “Eine Agentin also? Was will der Geheimdienst von meiner Zielperson?”, fragte ich und legte meine Waffe auf den Boden. Mit einer Agentin der Schützenden Hand wollte ich mich nicht anlegen. Ich wollte weder meine Lizenz verlieren, noch dass auf mich selbst ein Kopfgeld ausgesetzt wurde.
“Das ist geheim, aber ich kann dir sagen, dass das Kopfgeld nur dazu diente, die Person aufzuscheuchen. Du bekommst natürlich deine Bezahlung, aber da wir das Ziel aufgespürt haben, ist das Kopfgeld vom Tisch. Die Person ist in unserem Gewahrsam und du kannst verschwinden”, erklärte die Agentin. “Gut, wenn ich meine Bezahlung bekomme, bin ich glücklich”, stimmte ich zu.
Die Agentin nickte und steckte ihren Blaster weg. Langsam drehte ich mich um und musterte die Frau. Sie schien taff zu sein. Dennoch fand ich es ungewöhnlich, dass sie sich furchtlos in meinen Weg gestellt hatte. Meine Rüstung und meine Größe wirkten nicht gerade ungefährlich. “Eine Frage habe ich noch, bevor ich verschwinde. Warum gehörte die Frau dort unten zur Hanse?”, sagte ich. Das Gesicht der Agentin blieb ausdruckslos und das Einzige, was sie sagte, war: “Das geht dich nichts an.” Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass meine Frage beantwortet werden würde. Ich nickte, ging an der Frau vorbei und stieg ohne ein weiteres Wort zu sagen die Treppe hinab. Ich trat hinaus in den Innenhof, überquerte diesen und lief an mehreren Polizisten vorbei, die durch die Schießerei alarmiert worden waren.
Ein etwas älter aussehender Mann sprach bereits mit dem Offizier und deutete mit der Hand, dass ich passieren durfte. Offensichtlich gehörte er auch zum Geheimdienst und sorgte dafür, dass die ganze Sache geregelt wurde.
Als ich die belebte Gasse wieder erreichte, atmete ich auf und betrachtete mein Datenpad. Tatsächlich war die Bezahlung bereits auf meinem Konto eingegangen. Verwundert darüber, woher die Agentin wusste, an wen sie das Geld schicken musste, steckte ich das Gerät wieder weg. Ehrlich gesagt, war mir das egal. Ich hatte mein Gehalt und war zufrieden.