Die Wolken des Weltalls
Das leise Surren des Antriebs entspannte mich. Auch wenn ich wusste, dass dies nur für kurze Zeit sein würde, lehnte ich mich in meinem Pilotensitz zurück und blickte hinaus auf die abstrakten Formen des Hyperraums. Für die Lion-Bird war es nichts Besonderes, mit Höchstgeschwindigkeit durch diese andere Dimension zu jagen. Als altgedienter Frachter hatte sie bereits tausende Male verschiedene Waren durch die Galaxis geschippert. Vermutlich sogar schon mit Piloten vor mir. Mir gehörte das Schiff nun seit gut 15 Jahren und es war mir mehr als ans Herz gewachsen. Dieser Raumfrachter hatte mir bereits eine Menge Ärger eingebracht, aber noch öfter das Leben gerettet.
Während der Blütezeit der Galaxis hatte ich mich vor Aufträgen kaum noch retten können. Der Handel zwischen der Hanse und der Schützenden Hand florierte und es gab nie genug Frachterpiloten. Als die großen Konzerne das große Geld witterten, hatten sie begonnen, eigene Handelsflotten zu errichten und diese mit autonomen Systemen versehen. Es dauerte nicht lange und wir Piloten konnten preislich kaum noch mit den robotergesteuerten Frachtern mithalten. Ab diesem Zeitpunkt ging alles bergab. Routinerouten wurden meistens an diese Logistikfirmen vergeben. Um die Kosten zu decken, hatte ich angefangen, gefährlichere Routen zu fliegen, von denen sich die meisten fernhielten. Mit Abkürzungen durch Gasnebel oder Piratengebiete konnte man manchmal die Preise der Großkonzerne unterbieten.
Doch all dies hatte sich erneut gewandelt. Seit dem Ausbruch des Krieges herrschte Chaos. Große Gebiete, die eigentlich zur Schützenden Hand gehörten, waren von der Kreis-Allianz besetzt und von der Versorgung abgeschnitten worden. Besonders die ehemalige Exklave, die Zwischenkreiszone, war besonders betroffen. Ihre Versorgungswege waren durch Blockaden und Kämpfe um die Grenzgebiete unterbrochen. Doch das ermöglichte uns Frachterpiloten, die Routen wieder zu fliegen, die eigentlich den Konzernen gehörten. Meine Auftraggeberin hatte ich zwar noch nie persönlich getroffen, aber sie schien sich um die Menschen in den besetzten Gebiet zu kümmern.
Ich kannte weder ihren Namen, ob ihre Aufträge von der Schützenden Hand toleriert wurden, noch weshalb sie diese Versorgungskorridore finanzierte. Soweit ich wusste, hatte sie tausende Piloten wie mich beauftragt, regelmäßig Güter zu den bewohnten Systemen zu fliegen. Wie ich das mitbekam, handelte es sich dabei finanziell um ein Nullsummenspiel, aber für die Bewohner war es ein Geschenk. Eine Möglichkeit, diese Krise zu überleben. Als mein Kontaktmann mir diese Missionen vermittelt hatte, war ich skeptisch. Für mich klang das alles zu schön, um wahr zu sein. Zuerst dachte ich, dass diese Lieferungen zu schmuggelnde Waffen und Drogen beinhalten würden, anstelle der besprochenen Nahrung. Doch als ich die erste Ladung entgegengenommen hatte, wurde mir klar, dass es wirklich darum ging, die abgeschotteten Planeten zu versorgen.
Deshalb war ich auf dem Weg nach Luusak, einem eigentlich unbedeutenden Planeten. Viel gab es dort nicht. Ein paar Städte und zahlreiche Fabriken, die bei Kriegsbeginn von der Kreis-Allianz dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Der Frachtraum der Lion-Bird war randvoll mit allen möglichen Gütern. Alles von Nahrung über Kleidung bis hin zu Medikamenten. Eine reine humanitäre Lieferung. Es tat gut, keine illegale Ware mehr zu schmuggeln. Auch wenn ich meine Hände mit der jetzigen Lieferung nicht reinwaschen konnte, wusste ich dennoch, dass ich etwas Gutes bewirkte.
Mehrere Symbole erschienen auf dem Display der Steuerkonsole und warnten mich vor dem baldigen Austritt aus dem Hyperraum. Um nach Luusak zu kommen, musste ich mitten durch das Gebiet des Großen Kreises fliegen. Auch dort gab es selbstverständlich Kontrollen und Blockaden mit militärischen Schiffen der Kreis-Allianz entlang der Hyperraum-Routen. Um nicht in eine Kontrolle zu geraten, musste ich frühzeitig die normale Route verlassen und die Kontrollpunkte umfliegen. Ich betete, dass diese noch an der gleichen Stelle waren und meine Informationen, die ich bekommen hatte, noch aktuell waren.
Ich betrachtete die Anzeige der Scan- und Sicherheitssysteme, als ich den Steuerknüppel des Schiffes packte und den Hyperraumantrieb deaktivierte. Sofort brachen die Wirbel aus bläulichen Farben vor der Cockpitscheibe in sich zusammen und die Lion-Bird verließ den Hyperraum. Keiner der Scanner bemerkte irgendwelche Patrouillen. Einzig eine gigantische Gaswolke, der sogenannte Perq-Nebel, war durch die Frontscheibe der Kabine zu sehen. Die Schwaden aus unterschiedlichsten Gasen breiteten sich in dem pechschwarzen Raum über fünf Sternensysteme aus, die dadurch kaum bewohnbar waren. Dementsprechend war dort auch kaum Militärpräsenz vorhanden, zumindest war es das letzte Mal noch so gewesen. Ich hoffte, dass die Kreis-Allianz durch das Kriegsgeschehen nicht weitere Sicherheitsmaßnahmen in Betracht gezogen hatte.
Sanft drückte ich den Steuerknüppel zur Seite und lenkte so die Lion-Bird in die Richtung eines Seitenarms des Nebels. Die Beschaffenheit dieser Gaswolken verhinderte das Durchfliegen mit hohen Geschwindigkeiten. Die enorme Reibung würde das Hitzeschild und die Außenhülle des Schiffes zum Schmelzen bringen oder sogar in Stücke reißen. Darum zogen viele diese Routen nicht in Betracht. Für gewöhnlich verlor man Unmengen an Zeit, doch wenn man so die Kontrollen umgehen konnte, war es das wert. Ein Stern, der zu einem nahegelegenen Sternensystem gehörte, ließ die Gase grünlich-violett leuchten. Die monströse Wolke erinnerte mich an die Gravitationsschauspiele in den Casinos von Karana IV. Dort schwebten farbige Flüssigkeiten durch künstliche Schwerkraft majestätisch durch die Luft. Hier jedoch gab es keine Technik, die dieses Spektakel erschuf, hier war es die Natur.
Je näher ich dem Nebel kam, desto deutlicher wurde das schier unendliche Ausmaß des Nebels. Es würde Stunden dauern, diesen zu durchqueren. Und das nur, wenn nichts schiefgehen würde. Meine Hand fuhr zu meinem Talisman, welcher an meiner Halskette befestigt war. Diesen hatte mir meine Frau geschenkt, als wir geheiratet hatten. Seitdem trug ich ihn immer bei mir. Vorsichtig reduzierte ich die Geschwindigkeit und tauchte in den bunten Nebel ein. Die Systeme schlugen Alarm, als plötzlich der Widerstand das Schiff erfasste. Sorgfältig überprüfte ich die Anzeigen und versicherte mich, dass meine Geschwindigkeit nicht zu hoch war.
Ich war diese Route bereits öfters geflogen. Dennoch spürte ich jedes Mal eine gewisse Unruhe und Nervosität, wenn das Schiff in die Wolken eintauchte und der Nebel das Schiff umschloss. Die Scanner und Sensoren des Schiffes waren hier drinnen praktisch nutzlos. Meine Sicht aus der Frontscheibe ließ ebenfalls zu wünschen übrig. Die verschiedenen Gaswolken machten es schwer, weiter als ein paar hundert Meter zu sehen. Obwohl ich die Geschwindigkeit bereits reduziert hatte, kam dies einem Blindflug gleich. Falls hier irgendwo Asteroiden oder Trümmerteile herumschweben sollten, war dieses Flugmanöver ein reines Glücksspiel um Leben und Tod. Der einzige Vorteil war, dass dies nicht nur für mich, sondern auch für Patrouillen galt. Die Chance, hier drinnen aufgespürt zu werden, war praktisch gleich null.
Vorsichtig löste ich den Griff um den Steuerknüppel. Ohne Sensoren und mit eingeschränkter Sicht, war es unmöglich den Kurs zuverlässig zu korrigieren. Deshalb ließ ich den Frachter einfach geradeaus fliegen. Ich hatte den Eintrittswinkel in die Gaswolken so gewählt, dass ich nun hoffentlich auf der richtigen Route war. Wenn auch angespannt, lehnte ich mich in meinem Sessel zurück und musterte die Gegend. Wachsam hielt ich die Augen nach irgendwelchen Hindernissen auf, auch wenn ich vermutlich nicht mehr rechtzeitig ausweichen könnte.
Stunde um Stunde verging. Langsam fiel es mir sehr schwer, mich auf die Suche nach Gesteinsbrocken oder anderen Schiffen zu konzentrieren. Erschöpft blickte ich auf die Uhr. Eigentlich müsste der Frachter langsam das Ende des Nebels erreichen, doch noch wurden die Gaswolken nicht lichter. Konnte es sein, dass ich doch von meinem Kurs abgekommen war? Oder waren die Antriebe nicht mehr richtig kalibriert und ich flog eine leichte Kurve? Wenn ich auch nur um ein paar Grad vom Kurs abgewichen war, würde das eine große Gefahr darstellen. Ich hatte schon zahlreiche Geschichten gehört, in denen selbst die erfahrensten Frachterpiloten sich in solchen Nebeln verirrt hatten. Ohne Anhaltspunkte konnte es schnell passieren, dass man den falschen Weg einschlug und wochenlang umherirrte. Es wäre auf jeden Fall nicht das erste Mal, dass ein Raumschiff so einen Nebel ohne lebenden Piloten verlassen hatte. Allein bei dem Gedanken bekam ich Gänsehaut.
Plötzlich zeichnete sich ein Umriss ab, der mich an einen gigantischen Wal erinnerte. Was war das? Ich überlegte kurz, ob ich den Steuerknüppel packen und meinen Kurs korrigieren sollte, doch ich ließ meine Hand ruhen. Wenn ich nun meine Route verließ, war es ungewiss, ob ich jemals wieder aus diesem Nebel hinausfand. Je weiter die Lion-Bird flog, desto deutlicher konnte man den Umriss erkennen. Langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. Erst, als etwas in dem Nebel vor mir aufblitze, realisierte ich, um was es sich dort draußen handelte. Es war ein Raumkreuzer der Kreis-Allianz! Das Blitzen war ein Laserstrahl, der in meine Richtung flog und die Gase, die er durchschoss, zum Glühen brachte. Instinktartig griff ich den Steuerknüppel und riss die Lion-Bird zur Seite, in dem Wissen, dass auf der Route zu bleiben keine Option mehr war. Am liebsten hätte ich auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, doch dann hätten die Gase die Außenhülle zum Glühen gebracht.
Um Haaresbreite verfehlte der Beschuss das Schiff. Sofort aktivierte ich die Schutzschilde des Frachters und lenkte ihn in einen großen Bogen um den feuernden Kreuzer, in der Hoffnung, dass die Gase auch die Zielsysteme des Angreifers beeinträchtigten. Erneut schoss eine Salve an glühenden Strahlen in meine Richtung, diesmal verfehlte sich mich jedoch deutlich. “Was zur Hölle macht dieser Kreuzer da?”, fluchte ich und überlegte, wie ich heil aus dieser Situation herauskommen konnte. Ich musste es schaffen, dem Beschuss zu entkommen und auf meinen alten Kurs zurückzukehren, doch zweiteres war schier unmöglich.
Plötzlich durchfuhr ein heftiger Ruck den gesamten Frachter. Dutzende Leuchten blinkten auf und der Alarm schrillte. Der hintere Teil des Rumpfes war offenbar getroffen worden. Gerade so konnte das Energieschild Schlimmeres verhindern, doch einem weiteren Treffer würde es nicht standhalten. Ich spürte, wie sich eine angespannte Miene in meinem Gesicht breit machte. Ich drückte den Steuerknüppel nach unten, die Lion-Bird folgte meiner Bewegung. Erneut flogen mehrere Energiesalven in meine Richtung. Das Ausweichmanöver zeigte jedoch Wirkung und der Beschuss verfehlte mich.
Ich hörte ein metallenes, knarzendes Geräusch von hinten, als ich den Frachter wieder nach oben zog. Die Lion-Bird war kein wendiger Jäger und solche Manöver waren mit so einem alten Schiff nicht ungefährlich. Der feindliche Kreuzer verschwand nun aus meinem Sichtfeld und befand sich nun links hinter meinem Schiff im toten Winkel. Angespannt flog ich weiter, in der Hoffnung, weiterem Beschuss entgehen zu können. Doch zu meiner Enttäuschung durchfuhr erneut ein heftiger Ruck die Lion-Bird und ich wäre fast aus dem Pilotensitz gerutscht. Der Alarm wurde lauter. Mein Blick fiel auf das Display des Bordcomputers. Der Rumpf hatte offenbar ein Leck und Luft entwich nach draußen. Sofort aktivierten sich die Notfallsysteme und die Tür des Cockpits verriegelte sich automatisch.
Die Geräusche des Antriebs veränderten sich, da im hinteren Teil des Frachters inzwischen ein Vakuum herrschte. Nur noch das Vibrieren, das sich durch die metallene Hülle ausbreitete, zu hören war. Verzweifelt lenkte ich das träge Schiff in eine Seitwärtsrolle und löste meinen Blick vom Display. In diesem Moment bemerkte ich etwas in der Ferne. Der Nebel lichtete sich! Vorsichtig beschleunigte ich das Schiff, in der Hoffnung, doch noch aus dieser Falle zu entkommen. Noch waren die Gase zu dicht, um in den Hyperraum springen. Mein Blick fiel wieder auf das Borddisplay und ich bemerkte, dass ein Teil der Sensoren ihre Arbeit wieder zuverlässig verrichteten. Fast geschafft! Ich legte meine Hand auf den Schubhebel und zählte herunter. Drei. Zwei. Eins. Los! Mit aller Kraft drückte ich den Hebel nach unten und die Triebwerke beschleunigten ruckartig das Schiff. Vor mir erschienen die vertrauten bläulichen Formen, die Lion-Bird tauchte in den Hyperraum ein und ließ den feindlichen Kreuzer der Kreis-Allianz hinter sich.
Nach ein paar Stunden erreichte ich endlich mein Ziel. Als die zahlreichen Planeten zum Vorschein kamen, atmete ich erleichtert auf. Mein Auftrag war fast zu Ende, ich musste nur noch nach Luusak und die Waren abladen.
Während ich mich dem Planeten näherte, musterte ich die Umgebung. Es war nicht zu übersehen, dass dieses Gebiet ebenso vom Krieg gebeutelt war, wie die anderen Systeme der Zwischenkreiszone. Von den orbitalen Raumstationen waren nur noch einzelne Trümmerteile übrig, die trostlos um den Planeten kreisten. Die Inter-Atmosphären-Lifte waren eingestürzt und vom planetaren Schutzschild fehlte jede Spur. Ein paar Kreuzer der Kreis-Allianz schwebten in der Ferne, aber sie hatten nicht genug Ressourcen, um alle Planeten vollständig von der Versorgung abzuschneiden. Es war also nicht gerade schwer, unbemerkt in die Atmosphäre von Lussak einzutreten.
Ich steuerte die Lion-Bird zu den Koordinaten, die ich von meiner Kontaktperson erhalten hatte. Aufmerksam begutachtete ich die Umgebung und hielt Ausschau nach eventuellen feindlichen Abfangjägern, doch zum Glück war weit und breit keine Bedrohung zu sehen. Vor mir zeichnete sich eine Stadt ab, die von einem abgebrannten Wald umgeben war. Mehrere Hochhausruinen zeugten von den Bombenangriffen während der Invasion.
In der Mitte der Stadt erblickte ich eine freigeräumte Fläche. Diese war der perfekte Landeplatz. Ich drosselte die Geschwindigkeit und verringerte die Höhe. Sachte setzte ich das beschädigte Schiff auf. Bevor ich diesen Planeten wieder verlassen konnte, musste ich das Loch in der Außenhülle reparieren. Doch zuerst mussten die Waren abgeliefert werden. Ich richtete mich auf, betätigte den Entriegelungsschalter der Tür und betrat den vollgestopften Frachtraum. Diesen zu entladen, würde eine halbe Ewigkeit dauern.
Ich ging vorbei an den Kisten zur Laderampe, betätigte einen Schalter und ließ diese herunterfahren. Noch bevor diese am Boden aufsetzte, blickten mich mehrere interessierte Gesichter an. “Zum Glück haben Sie es geschafft! Wir hatten schon befürchtet, die Kreis-Allianz habe die Blockade verstärkt!”, hörte ich jemanden von unten rufen. “Das hat sie tatsächlich, aber dieses Schiff hat es trotzdem geschafft”, antwortete ich und lief der Gruppe entgegen. Ihre Kleidung war verschmutzt und sie sahen aus, als hätten sie schon seit längerem nichts mehr gegessen. “Vielen Dank, dass Sie uns helfen”, rief ein anderer. “Nichts zu danken. Die Ware ist bereits bezahlt, ihr müsst nur noch beim Entladen helfen.”