Als Hörbuch verfügbar!

Diese Geschichte ist auch als kostenloses Hörbuch verfügbar: Spotify

Die Weltraumwerften von Urblik

Fasziniert betrachtete ich das Schauspiel draußen vor dem Fenster. Wenige hundert Meter entfernt zeichnete sich ein stählerner Koloss vor dem schwarzen Hintergrund des Weltalls ab. Das schwertähnliche Raumschiff schwebte majestätisch im All, während verschiedene Roboter die letzten Schweißarbeiten vollendeten. “Herr Magnus, die Vertreterin der Schützenden Hand hat soeben den Hyperraum verlassen und wird in wenigen Minuten andocken”, ertönte die Stimme meiner Assistentin über die im Schreibtisch verbauten Lautsprecher. Eine Antwort empfand ich als überflüssig und ließ stattdessen meinen Blick von dem majestätischen Meisterwerk im All zu meinem Datenpad wandern, welches auf meinem Schreibtisch ruhte.

Eine Zahl, die dort auf dem Display zu sehen war, ging mir nicht aus dem Kopf. “Dreiundsiebzig Billionen CEX”, murmelte ich vor mich hin. Das hatte der Jahresbericht als Gewinn der Urblik-Weltraumwerften ergeben. Das klang zwar nach einer Menge Geld, doch wenn man den Umsatz betrachtete, war dieser Gewinn verschwindend gering. Dies war einer der Gründe, warum der Vorstand über die Geschäftsentwicklung der letzten Jahre unzufrieden war.

Unsere Werften produzierten Raumschiffe in allen Größen. Neben den zivilen Shuttles und Transportern machte den Großteil des Umsatzes die Produktion von militärischen Schiffen aus, etwa wie der Zerstörer der Narusa Klasse, welcher dort draußen im Weltall fertiggestellt wurde. Unsere Produktion für die Schützende Hand reichte von Sternenjägern, über kleine Fregatten bis hin zu gigantischen Schlachtschiffen und Kreuzern. Die Tatsache, dass die Verkaufszahlen dieser Schiffe stagnierten, machte dem Konzern zu schaffen. Umso enttäuschter war ich heute früh gewesen, als der Besuch einer Vertreterin der Schützenden Hand angekündigt wurde. So wie ich mein Glück kannte, war sie hierhin unterwegs, um die laufenden Aufträge zu reduzieren.

Widerwillig stand ich von meinem braunen Polsterstuhl auf, ging um den stählernen Schreibtisch herum und warf ein letztes Mal einen Blick hinaus auf den Narusa Zerstörer. Mit einem Seufzer wand ich mich ab und verließ mein Büro durch die Tür, welche sich automatisch öffnete. “Sir, die Vertreterin ist bereits in Hangar elf gelandet”, berichtete meine Assistentin. Diesmal ertönte ihre Stimme nicht aus den Lautsprechern, denn sie saß an ihrem Platz im Vorzimmer meines Büros. Nickend ging ich an ihr vorbei und betätigte den Schalter des Turbolifts, welcher mich zur Hangar-Ebene bringen sollte.

“Eine Sache wäre noch wichtig zu erwähnen, Sir. Bei dem Schiff der Vertreterin handelt es sich scheinbar um ein Vondur Shuttle, es ist also gut möglich …” Ich unterbrach meine Sekretärin mit einer Handbewegung, denn ich wusste genau, was dies bedeutete. Ein Vondur war hierhergekommen, um die Verhandlungen zu führen. Das war höchst ungewöhnlich.

Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Tür zum Aufzug. Für einen Moment stand ich einfach nur da und überlegte, ob ich wirklich einsteigen sollte. Die Vondur waren berüchtigt und ich kannte mehr als nur eine Schauergeschichte, die mich davon abhalten sollte, jemals einen dieser Wächter persönlich kennenzulernen.

“Sir?”, fragte meine Sekretärin mit einem verwunderten Tonfall und riss mich aus meinen Gedanken. Etwas durcheinander betrat ich schließlich die Aufzugskabine. Diese schloss selbständig und setzte sich sanft in Bewegung. Mein Büro befand sich etwas erhöht in einem Aussichtsturm, deshalb würde es etwas dauern, bis der Lift den Hangar erreichen würde. Während dieser weiter beschleunigte, gab das Seitenfenster den Blick ins All frei.

Unter mir erstreckte sich der Großteil der Raumstation. Mehrere rechteckige Bereiche beinhalteten Lagerhallen und kleinere Produktionsabschnitte. An den verschiedenen Docks lagen Raumschiffe in unterschiedlichen Größen und Formen. Die meisten von ihnen befanden sich kurz vorm Abschluss des Fertigungsprozesses. Tausende Drohnen und die vielen Lichtbögen der Schweißarbeiten erzeugten ein unruhiges Bild. Mir kam es so vor, als würde ich einen aufgescheuchten Ameisenbau betrachten.

Diese Werft erstreckte sich über mehrere Kilometer in sämtliche Richtungen. Wenn ich so darüber nachdachte, war die Größe der Station wirklich beeindruckend. Was jedoch noch außergewöhnlicher war, war die Tatsache, dass man in der Ferne mindestens zwölf weitere Raumwerften dieses Ausmaßes erkennen konnte. Während ich meinen Blick über das Geschehen schweifen ließ, erreichte der Lift schließlich das Dach der Lagerhalle und bremste ab. Mit dem Erreichen der Halle, wurde ebenfalls die Aussicht unterbrochen und ich begann mich zu sammeln. Die Vertreterin würde jedem Moment eintreffen und ich sollte sie keinesfalls warten lassen.

Zischend glitt die Tür zur Seite und zwei Soldaten in schwarzer Rüstung kamen zum Vorschein, die rechts und links vor dem Aufzug Wache hielten. Normalerweise standen die beiden Soldaten der Schützenden Hand nur für Prestigezwecke hier, doch diesmal könnten sie nützlich sein. “Ihr zwei, kommt mit mir”, befahl ich mit einem etwas zu schroffen Tonfall. Sichtlich verwundert, dass die beiden Wachen angesprochen wurden, zuckten sie zusammen. “Ja wohl, Sir”, riefen sie synchron.

Schnellen Schrittes folgten mir die beiden den langen Gang entlang. Dem Panoramafenster, das die rechte Wand schmückte, schenkte ich keine Beachtung. Ohne zu verlangsamen, oder auf die beiden Gefolgsleute zu warten, bog ich links ab und durchquerte das zweitürige Eingangsportal der Landebucht. In dem Moment, als wir die Halle betraten, tauchte ein weiß-violett lackiertes Raumshuttle durch den Energieschild und erfüllte den Hangar mit einem lauten Dröhnen der Triebwerke.

Dies war mit der Hauptgrund, warum ich die Fertigungshallen nur selten betrat und lieber die Fertigungsprozesse im Weltall betrachtete. Ich ließ mir nicht anmerken, dass der Lärm mich störte und näherte mich der markierten Landefläche. Das Vondur Shuttle setzte sachte auf und mit einer kurzen Verzögerung flaute das Getöse ab, als die Maschinen herunterfuhren. Vor der weißen Markierung auf dem grauen Boden, welche die Landefläche begrenzte, blieb ich stehen. Die beiden Soldaten taten es mir gleich.

Außer uns waren natürlich noch andere Personen und Roboter in dem Hangar. Rechts von uns wurde gerade ein kleiner Transporter entladen, welcher Antriebsteile lieferte, während links von uns mehrere Arbeiter ein Shuttle betraten, das diese nach getaner Arbeit zu ihrem Heimatplaneten flog.

Langsam öffnete sich die Ausstiegsrampe des Vondur Shuttles und am oberen Ende kam eine junge, blondhaarige Frau zum Vorschein. Sie war hübsch und schien freundlich, doch ich war mir sicher, dass der Schein trügte. Langsam stieg diese die Rampe hinab und die Schritte erzeugten auf dem Metall ein beunruhigendes Geräusch. Nervös straffte ich die Kleidung zurecht und überlegte, was ich sagen sollte.

“Willkommen auf einer unserer Werften”, begrüßte ich die Wächterin schließlich und deutete eine Verbeugung an. ”Hallo Herr Magnus, vielen Dank, dass Sie mich empfangen”, erwiderte sie die Begrüßung, “Mein Name ist Verena Limiona, ich bin hier, um mit Ihnen über die laufenden Projekte der Schützenden Hand zu sprechen.” Bei diesen Worten musste ich schlucken und das gleich aus mehreren Gründen. Erstens schien sich meine Befürchtung zu bewahrheiten, dass die militärischen Projekte der Schützenden Hand zurückgefahren werden würden. Zweitens kannte ich den Namen, den sie nannte: nicht ihren Vornamen, sondern ihren Familiennamen.

Die Limiona Familie war berüchtigt. Eigentlich war nicht viel über den Vondur Orden und ihre Mitglieder bekannt, doch diese Familie hatte einen gewissen Ruf. Sie war mächtig, einflussreich und hatte ihre Finger überall im Spiel. Selbst hochrangige Regierungsmitglieder und Diplomaten standen unter ihrem Einfluss. Wenn ich mich nicht irrte, stand der Name sogar auf einer unserer Liste von privaten Auftraggebern.

“Natürlich,” stammelte ich schließlich, “am besten besprechen wir die Einzelheiten in meinem Büro.” Sie nickte und deutete mit der Hand, dass ich vorgehen solle. Sofort setzte ich mich in Bewegung und lief den Weg zurück, den ich zuvor mit den beiden Soldaten gelaufen war. Am Lift angekommen, befahl ich den beiden Soldaten, dass sie an ihrem Platz warten sollten. Mit einem leisen Zischen verschloss sich der Lift und setzte sich in Bewegung.

“Die Werften sind beeindruckend”, stellte die Vondur fest, blickte nach draußen und begutachtete die laufende Produktion. “In der Tat”, stimmte ich zu. Ich war mir nicht sicher, ob die Vondur meine Nervosität in meiner Stimme bemerkte. Egal was sie zu besprechen hatte, musste etwas Einschneidendes für die Aufträge zwischen den Urblik Werften und der Schützenden Hand sein, sonst wäre der Besuch eines Vondurs überflüssig.

Der Lift bremste sanft ab, als dieser die Etage meines Büros erreichte und die Tür sich lautlos zur Seite schob. Für einen Moment stand ich wie angewurzelt da. “Wollen Sie nicht vorangehen?”, fragte die Frau. Irgendetwas in ihrem Ton verriet mir, dass sie von meiner Anspannung amüsiert war. Also hatte sie diese doch bemerkt. Peinlich berührt ging ich zu meiner Bürotür, vorbei an dem Schreibtisch meiner Sekretärin, die ebenfalls etwas verängstigt zu der Vondur blickte.

Ich betrat das Büro, umrundete meinen Schreibtisch, bot der Vondur an, Platz zu nehmen und setze mich ebenfalls. “Also, weshalb haben wir die Ehre, Euch empfangen zu dürfen?”, fragte ich mit wohl etwas zu viel geheuchelter Freude. “Wie läuft die Produktion der Korvetten? Ich habe gehört, dass diese sich etwas verzögert.” Ich schüttelte den Kopf und meinte: “Nicht wirklich, wir hatten Engpässe verschiedener Materialien durch den Aufstand auf Sullast erwartet, aber durch das schnelle Eingreifen der Schützenden Hand, sind diese glücklicherweise ausgeblieben.”

Sie nickte und fuhr fort: “Und die Produktionen der Schlachtschiffe und Kreuzer ebenfalls?” “Genau, die Produktion läuft genau nach Plan. Dafür sind die Urblik Werften bekannt. Sie sind aber doch nicht deswegen hier, oder?” Bei diesen Worten machte sich ein Lächeln auf ihren Lippen breit. “In der Tat. Die Schiffe der Narusa Klasse sind mittlerweile überholt, darum werden wir keine neuen Schiffe dieser Art in Auftrag geben”, sagte sie und lehnte sich in dem Bürosessel zurück.

Bei diesen Worten geriet ich innerlich in Panik. Ich versuchte diese zu verbergen und die Entscheidung der Schützenden Hand zu verstehen: “Sie wollen also alle Produktionsverträge kündigen? Auch für die Kreuzer, Fregatten, Jäger und alle Weitere?” Sie nickte. Es war also tatsächlich genau das eingetreten, das ich befürchtet hatte. Die Urblik Werften waren gerade dabei, den Hauptteil der Aufträge zu verlieren. Dies erklärte auch, warum ein Vondur geschickt wurde.

Ich musste das Schlamassel irgendwie eindämmen, sonst würde ich morgen nicht mehr auf diesem Stuhl sitzen dürfen. Nachdem ich die Tatsachen verarbeitet hatte, räusperte ich mich und beugte mich mit allem Mut, den ich zusammenkratzen konnte, nach vorne und meinte: “Ich verstehe. Aber zumindest die laufenden Produktionen müssen abgeschlossen werden. Außerdem haben wir noch einige weitere Modelle im Angebot, die dem Militär der Schützenden Hand gefallen dürften.”

Ohne auf mich einzugehen, legte die Frau ein Datenpad auf den Tisch und sagte: “Was sehen Sie hier?” Vorsichtig nahm ich das Gerät und betrachte die dort abgebildete Zeichnung. Diese zeigte ein Raumschiff mit einem dreieckigen Umriss, mit vier Schubdüsen am Heck. Außerdem befand sich ein gigantischer Hohlraum in der Mitte des Schiffes, ebenfalls in der Form eines Dreiecks. Ich wischte nach unten und die nächste Blaupause kam zum Vorschein. Diese zeigte einen kleineren Kreuzer, dessen Maße etwas kleiner waren, als die des davor gezeigten Schiffes.

“Soll dieses in die Verankerung des ersten Schiffes passen?”, fragte ich verwundert, von dem, was auf den Plänen zu sehen war. “Exakt. Dies sind die Pläne einer neuen Generation von Schlachtschiffen. Die Venatra Klasse. An dem gigantischen Kreuzer ist ein kleinerer Kreuzer angedockt und an diesem wiederum ein kleineres Schiff. Dies geht bis zum Zerstörer auf der letzten Seite. Somit können diese Schiffe aus dem Hyperraum springen und sind für jegliche Situation gewappnet”, erklärte sie.

“Das ist verrückt …”, rutschte es mir heraus, “Entschuldigen Sie, ich meine fast unmöglich. Solch eine Konstruktion haben wir noch nie umgesetzt.” Zu meiner Überraschung machte die Frau keine Bemerkung zu meinem unprofessionellen Ausrutscher, stattdessen meinte sie: “Es gibt immer ein erstes Mal. Mein Forschungsteam hat diesen Entwurf erstellt und wir würden diesen gerne mit Euren besten Konstrukteuren umsetzen. Zunächst soll ein voll funktionsfähiger Prototyp entwickelt werden. Nicht nur das Mutterschiff, sondern auch alle kleineren Varianten.”

“Das ist ein erstaunliches Vorhaben. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Ingenieure das umsetzen können”, sagte ich. Auch wenn ich froh war, dass die Vondur doch nicht den weiten Weg hierhergereist war, um die Projekte zu stornieren, war ich dennoch nicht wirklich erfreut. Diese Pläne waren größenwahnsinnig. Alleine dafür zur sorgen, dass die Schiffe bei einem Hyperraumsprung fest in der Verankerung sitzen würden, war schwierig. Ich sah schon vor meinem inneren Auge, wie das Mutterschiff unter der enormen Belastung in zwei Teile brach.

“Ich spüre Ihre Zweifel”, bemerkte die Frau. Bei diesen Worten erstarrte ich. Ihr durchdringender Blick hatte etwas Beängstigendes an sich. Eigentlich wollte ich ihr etwas entgegnen, doch sie kam mir zuvor. “Keine Sorge, wenn Sie das bewilligte Budget sehen, werden diese verfliegen”, meinte sie schmunzelnd, nahm mir das Datenpad aus der Hand und machte ein paar Eingaben. Anschließend legte sie das Gerät wieder auf den Tisch und drehte es zu mir, sodass ich lesen konnte, was auf dem Display stand.

“Zweiundachtzig Billionen?”, fuhr es mir erneut heraus. Das war eine Menge Geld, fast so viel wie unser gesamter Gewinn des letzten Jahres. Natürlich würde die Entwicklung einiges kosten und ich war mir sicher, dass die Schützende Hand für diesen Betrag ein wahres Meisterwerk verlangte, aber dieser Auftrag würde der Firma enorm helfen. Vor allem, wenn sich aus diesem Projekt eine Massenproduktion entwickeln würde. Hörbar erfreut meinte ich: “Das Budget ist großzügig, wir werden schnellstmöglich mit der Entwicklung beginnen. Vermutlich brauchen wir noch eine weitere Raumwerft, aber dies dürfte kein Problem sein.”

“Dies freut mich zu hören. Die Kontaktdaten meines Teams befinden sich in den Dokumenten. Ich lasse Ihnen das Datenpad gerne da und mache mich dann auf den Rückweg, genaueres besprechen Sie bitte mit meinem Projektleiter”, meinte die Vondur und stand auf. “Selbstverständlich, ich trommle sofort meine besten Leute zusammen. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise”, verabschiedete ich sie. “Danke, bis bald”, rief sie beim Hinausgehen über die Schulter.

Ich war froh, dass sie ging. Die Anwesenheit eines Vondurs war nicht gerade sehr angenehm, vor allem, wenn man den ganzen Geschichten traute. Das Gespräch hatte, wie ich befürchtet hatte, das Einstellen unserer meisten Produktionen zur Folge. Doch wenn diese neuen Pläne umgesetzt werden könnten, würde dies das Unternehmen vermutlich über Jahrzehnte finanzieren. Die Modernisierung einer so großen Armada, wie sie die Schützende Hand hatte, würde viel Zeit und Geld bringen. Ja, die Pläne waren größenwahnsinnig, aber wenn es Ingenieure gab, die diese umsetzen konnten, dann waren es die der Urblik Werften.